Winke aus der Barrierenwelt
Eine Bühne für Gehörlose bei Michikazu Matsunes Stück "Zeichensturm"
im Brut-Theater
von Helmut Ploebst
Jedes Kunstprojekt mit und über Menschen, die durch unsere Gesellschaft
behindert werden, ist wichtig. Dabei kommt jenen Arbeiten, die in
tiefere Diskursgefilde vorstoßen, ganz besondere Bedeutung zu. Der aus
Japan stammende österreichische Choreograf, Performer und Künstler
Michikazu Matsune hat dafür ein besonderes Geschick.
Matsune ist ein Virtuose der Verunsicherung: in seinem neuen Stück
Zeichensturm über Gehörlosigkeit, das gerade im Koproduktionshaus Brut
uraufgeführt worden ist, genauso wie vor einem Jahr mit der
Installation Daneben. Damals ging es um die Ausstellung von
Asylwerbern. Die von Matsune gemeinsam mit David Subal konzipierte
Arbeit wurde gelobt, aber auch heftig diskutiert. In Bezug darauf hieß
es, die Präsentation von lebenden Menschen als Objekte aus dem Museum
sei respektlos. Doch wenig später setzte der Südafrikaner Brett Bailey
bei den Wiener Festwochen im Völkerkundemuseum bei Exhibit A: Deutsch
Südwestafrika mit seiner ganz ähnlichen Installation nach: Nicht die
Ausstellung der Menschen durch die Künstler ist also frivol, sondern
das Dulden von politischen Mechanismen, die zu Ausweisung (Matsune)
oder Massenmord (Bailey) führen.
Auch Zeichensturm, das aktuelle Stück, ist eine Herausforderung. Ein
unheimlich leichtes Stück, das auf den ersten Blick den Eindruck
vermittelt, als wollten die teilnehmenden Gehörlosen bloß zeigen, was
sie alles können: tanzen, jonglieren, schwierige oder auch anzügliche
Begriffe in Gebärdensprache formulieren. Doch Matsune setzt das
fröhliche Tun vor eine Übermarionette: das Fernsehen, repräsentiert
durch signtime.tv, eine österreichische Web-TV-Initiative für
Gehörlose. In einer Persiflage auf die Nachrichten erscheinen groß im
Bild der Moderator in Gebärdensprache und - klein, im Eck - ein Talking
Head, der die Gesten in Gesprochenes übersetzt.
Das sitzt. Kaum ein großer Sender schert sich darum, seine Nachrichten
in Gebärden zu übersetzen. Geschweige denn, die Verhältnisse derart
umzukehren, dass alle Nachrichten von Gebärdenmoderatoren präsentiert
werden und die Sprecher nur im Kästchen zu sehen sind. So werden
Behinderungen konstruiert. Die gehörlosen Performer bei Zeichensturm
reagieren darauf mit einer Verspottung der Talkshow-Plattheit. Als
Gegenpol dazu erzählen einige Ältere, wie sie die NS-Zeit erlebt haben.
Und es wird vor allem auf Englisch gebärdet, wobei die Performer nicht
nur Europa repräsentieren, sondern auch Afrika und China.
Brustschwach, ausgrenzend
In die Leichtigkeit des Stücks ist ein so gut durchdachtes
Diskursgewebe eingespannt, dass bis zum Schluss keine Geste als Anklage
von der Bühne her kommt, es danach aber völlig absurd erscheint, unsere
brustschwache und ausgrenzende Barrierengesellschaft so
weiterzuschleppen wie bisher.
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Veröffentlicht in Der Standard
am 18. Februar 2011